Adaptierte Lösung vs. teurer Eyetracker

Im Rahmen der regionalen Wissensdrehscheibe für Barrierefreie Technologien haben wir etliche Workshops zu flexibel anpassbaren Assistiven Technologien abgehalten. Darunter waren auch Workshops für "Ergo Austria", welche als offizielle Fortbildung von ErgotherapeutInnen gebucht werden konnten. Durch die dadruch enstandenen Kontakte in die Praxis konnten im Rahmen von Fokusprojekten individuelle und an einzelne Personen angepasste Unterstützungstechnik-Lösungen entwickelt werden.

Wir wurden von einer Therapeutin im Pflegewohnhaus Donaustadt kontaktiert, um eine technische Unterstützung für einen jungen Mann ("Richie") mit Locked-in-Syndrom zu entwicklen. Durch eine vollständige Lähmung des Körpers war es kaum möglich, mit Richie zu kommunizieren. Einzig durch Augenbewegungen konnten "Ja/Nein"-Fragen beantwortet werden. Bei vollkommen uneingeschränktem Bewusstsein ist eine solche Situation natürlich für den Betroffenen sehr frustrierend - Selbstbestimmung und Interaktion sind fast unmöglich. Zum Zeitpunkt des ersten Besuchs durch unser Team war Richie bereits seit über einem Jahr in dieser Situation gefangen.

Für "Locked-in" Patienten ist die am weitesten verbreitete und kommerziell erhältliche Lösung ein Gerät mit Augensteuerung. Ein sogenannter "Eye-Tracker" kann die Blickrichtung von Anwender*innen analysieren und dadurch kann ein PC gesteuert werden. Personen können so durch Augenbewegungen Internet surfen, E-Mails schreiben, Spielen oder eine spezielle Software für Kommunikation mit anwesenden Personen ansteuern. In der Theorie hört sich das toll an - in der Praxis gibt es aber leider oft Schwierigkeiten. Einerseits sind die entsprechenden Geräte sehr teuer (~15000€) und außerdem ist eine Steuerung mit Augenbewegungen für die AnwenderInnen oft anstrengend und ermüdend. Im Fall von Richie war zwar ein teures Augensteuerungsgerät vorhanden, aber er konnte es aufgrund eines Nystagmus (unkontrollierbare Augenbewegungen) nicht verwenden.

In einem ersten Schritt versuchten wir eine sehr einfache Lösung mit den im WBT-Projekt (und vorangegangenen Forschungsprojekten) entwickelten flexiblen Assistiven Technologien umzusetzen:

  1. AsTeRICS Grid - Software für Unterstützte Kommunikation
  2. FABI Tasteninterface in Kombination mit einem Button

Da Richie nicht vollständig gelähmt war, sondern die linke Hand in sehr geringem Ausmaß nach unten drücken konnte, war durch richtige Positionierung das Drücken eines Tasters möglich. Der Taster wurde über das FABI Buttoninterface mit seinem PC (dem teuren Eyetrackinggerät, welches auch ein Windows-PC ist) verbunden. Durch AsTeRICS Grid mit der stufenweisen Auswahl ("Scanning") war er innerhalb sehr kurzer Zeit in der Lage selbstständig auf einer Tastatur zu schreiben. AsTeRICS Grid bietet auch die Möglichkeit Videos auf YouTube anzusehen. Richies erste Aktion mit seinen neuen Möglichkeiten war das Suchen und Ansehen einer für ihn interessanten Fernsehserie auf YouTube - endlich wieder ein kleines Stückchen Selbstbestimmung!

Das Beispiel zeigt, dass flexibel angepasste Assistive Technologien teilweise viel besser funktionieren können, als teure Lösungen "von der Stange". Es gibt sicherlich auch Personen, für die ein teures Eyetrackinggerät die beste Wahl darstellt, aber für Richie war das nicht der Fall.

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